Kontroverser Entwurfsprozess: Ganz oder gar nicht

Unsere Fraktion hat sich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und ist dabei nicht zu einer einheitlichen Fraktionsmeinung gekommen. Ebenso wie Bettina Kuhlmann werde ich dem Verkauf des Grundstückes nicht zustimmen.

Wir stehen hier am Ende eines mehrstufigen Verfahrens und erst an diesem Punkt haben die Ratsmitglieder die Möglichkeit mit ihrem Abstimmungsverhalten Einfluss auf die weitere Entwicklung zu nehmen. Es ist allerdings nur noch eine „ganz oder gar nicht Entscheidung“ – einen Einfluss auf das „wie“ gibt es nicht mehr. Im Rückblick bedauere ich sehr, dass wir dieses Verfahren gewählt haben. Allerdings konnte sich meine Fraktion auch nicht vorstellen, dass es bei so einem wichtigen Projekt im Herzen unserer Stadt keinen Raum für die Diskussion innerhalb des Rates und vor allem auch mit der Öffentlichkeit geben wird. Unsere Fraktionsvorsitzende hat das in den zurückliegenden Monaten an verschiedenen Stellen bereits deutlich kritisiert.

Es ist aber nicht in erster Linie das Verfahren, was es uns unmöglich macht, dem Verkauf an Thieken Architekten zuzustimmen. Es ist der Entwurf selbst, der uns nicht überzeugt.

Ein wichtiges Argument für die Ablehnung liefert das Bewertungsgremium selbst, in dem es die Frage stellt, ob der sakrale Charakter, die Farbigkeit und der hohe Glasanteil des geplanten Gebäudes zu Diepholz passt. Meine Antwort dazu ist eindeutig „nein“. Mit diesem Entwurf verändern wir in unmittelbare Nachbarschaft zu den prägnantesten historischen Gebäuden in der Langen Str. das Gesicht unserer Stadt maßgeblich. Dieser Entwurf enthält nichts, was typisch für Diepholz ist und könnte in jeder anderen beliebigen Stadt stehen.

Ein weiteres Kriterium für die Bewertung der verschiedenen Entwürfe war auch der Punkt „Ressourcen und Energie“. Wie wichtig dieser Aspekt ist, zeigt uns die aktuelle Nachricht, dass Deutschland seine Klimaziele für 2030 nicht erreichen wird und noch viel eindrücklicher die Hochwassersituationen in Süddeutschland.

Leider macht die Informationsvorlage, mit der die 4 Entwürfen zum letzten Fachausschuss vorgestellt wurden, nur sehr marginal Aussagen zu diesem Themenbereich. Zum Entwurf „gemeinschaftliches Wohnen im Herzen von Diepholz“ heißt es beispielsweise: Energiekonzept, Aussagen zur Nachhaltigkeit müssen vertieft und plausibel dargestellt werden.

Wie es um die Nachhaltigkeit und das Energiekonzept des Entwurfes steht, der jetzt realisiert werden soll, kann ich nicht beurteilen, da ich dazu keinerlei Informationen habe.

Ich kann allerdings feststellen, dass bei diesem Entwurf verschiedene Punkte vorgesehen sind, die mit Sicherheit nicht nachhaltig sind:

Da ist zunächst die Tatsache, dass im Gegensatz zu anderen Entwürfen kein Erhalt des Bestandes vorgesehen ist. Es geht also sehr viel sogenannte graue Energie verloren, d.h. die Energie, die bereits in den bestehenden Gebäuden steckt. Über das ganze Leben eines Gebäudes ist das ungefähr genauso viel Energie wie durch den Betrieb des Gebäudes verbraucht wird. Unter Nachhaltigkeitsaspekten ist der Erhalt dem Neubau immer vorzuziehen.

Als einziger Beitrag im Wettbewerb plant dieser Entwurf mit einer Tiefgarage. Wir verändern also nicht nur die Oberfläche, sondern bringen auch jede Menge an Beton in das Erdreich ein. Wir alle wissen, wie CO2 intensiv Zement ist.

Als dritten Punkt möchte ich die Glasfront ansprechen. Die Glasindustrie gehört zu den energieintensivsten Industrien überhaupt. Eine schicke Glasfront ist also eher ungünstig für die Klimabilanz.

Auch das Nutzungskonzept überzeugt mich nicht. Im Vorfeld des Fachausschusses habe ich mir die Informationsvorlage gemeinsam mit meinem 18-jährigen Sohn angeguckt. Uns beiden hat besonders das Konzept Stadtlabor Diepholz mit seinen vielfältigen kulturellen und sozialem Angeboten überzeugt. Das hat auch das Bewertungsgremium positiv hervorgehoben, um es im nächsten Atemzug mit folgendem Satz gleich wieder zu relativieren. Ich zitiere: „Das Versprechen an ein junges Publikum erscheint allerdings auch sehr ambitioniert, als zu unkonkret und der tatsächliche Bedarf wird stark in Frage gestellt“. Diese Aussage hat bei meinem Sohn ziemliches Befremden ausgelöst. Wieso lässt sich die Stadt von einem solchen Konzept nicht inspirieren und setzt alles daran, um die Innenstadt auch für junge Menschen attraktiv zu machen? Vielleicht würde das auch helfen, damit nicht so viele jungen Menschen nach dem Schulabschluss aus Diepholz wegziehen?

Zugegeben – Es ist natürlich ein Vorteil des jetzt zur Realisierung anstehenden Entwurfes, mit einem Ankermieter aufwarten zu können. Das war aber in der Ausschreibung nicht gefordert und ich möchte fragen, welchen Mehrwert das jetzige Konzept für die Diepholzer Innenstadt wirklich hat. Ein Orthopädiegeschäft verlagert seinen Standort innerhalb der Innenstadt. Was passiert mit dem alten Ladenlokal? Ist das neuer Leerstand? Der Zeitung konnte ich entnehmen, dass auch ein Orthopäde und eine Physiotherapiepraxis in das neue Gebäude einziehen möchte. Ob das auch Verlagerungen sind, weiß ich nicht. Die im Entwurf noch geplante Gastronomie entfällt leider. Wie soll unter diesen Umständen der neue Platz belebt werden? Kann mit diesem Nutzungskonzept das in der Ausschreibung geforderte übergeordnete Ziel – die Stärkung des Standortes Innenstadt- erreicht werden? 

Ich wage das zu bezweifeln, so dass ich dem Verkauf nicht zustimmen kann.

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